„Heute ist ein besonderer
Tag für Deutschland. Wer gestern Abend noch spät am Brandenburger
Tor vorbeigekommen ist, hat gesehen, dass wir mit voller Stolz die
EU-Ratspräsidentschaft übernommen haben. Das Brandenburger Tor war
angeleuchtet mit dem Logo der deutschen Ratspräsidentschaft.
Deutschland hat heute den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft
übernommen. Das ist das 13. Mal in der Geschichte der Europäischen
Union und das erste Mal seit 2007. Das ist eine große Verantwortung
und eine Herausforderung. Wir sind in einer Zeit, in der viele
Wünsche formuliert werden und in der es aber auch massive
Interdependenzen gibt.
Logo EU-Ratspräsidentschaft
2020 mit dem Text eu2020.de - Gemeinsam. Eurpa wieder stark machen.
Together for Europe`s recovery. Tous ensemble pour relancer l´Europe.
Deutsche Präsidentschaft im
Rat der Europäischen Union - Logo
Mein Dank gilt Kroatien, das
den EU-Rat in den vergangenen sechs Monaten trotz der schwierigen
Umstände der Corona-Pandemie souverän geführt hat. Deshalb war mir
es mir auch wichtig, am Montag persönlich nach Zagreb zu reisen und
den Staffelstab zu übernehmen. Meine kroatische Amtskollegin Marija
Vuckovic hat Grundlagen gelegt, auf denen wir aufbauen können.
Die Agrarpolitik gehört zu
den ältesten Bausteinen und zentralen Säulen der Einigung Europas.
Mir ist es sehr wichtig, das zu formulieren. Es hat einen Grund,
warum Landwirtschaftspolitik auf supranationaler Ebene angesiedelt
und das Agrarbudget so hoch ist: Eine gemeinsame Agrarpolitik gab es
lange vor Einführung des Binnenmarkts und einer gemeinsamen Währung.
Schon in den Römischen Verträgen, das war 1957, wurde die
gemeinsame Landwirtschaftspolitik beschlossen und 1962 trat sie in
Kraft.
Wir blicken heute also auf 58
Jahre gemeinsame Agrarpolitik in Europa zurück. Das ist eine
Verantwortung für die Zukunft, beieinander zu bleiben und eine
gemeinsame Politik zu formulieren. Der Agrarhaushalt macht mit 58,7
Milliarden Euro rund 36 Prozent des gesamten EU-Haushalts aus. Das
ist der größte Einzelposten im europäischen Budget! Deshalb ist er
auch so heiß umkämpft. Der Grund ist leicht erklärt und wird doch
oft vergessen: Es geht hier um nichts weniger als um die Ernährung
von 450 Millionen Menschen – allein in Europa!
Auch die Bedeutung der
gemeinsamen Agrarpolitik für den Integrationsprozess in Europa wird
häufig unterschätzt. Wieso Integrationsprozess? Weil viele
unterschiedliche Aspekte, die in der Land- und Ernährungswirtschaft
eine Rolle spielen, über ganz Europa vernetzt sind. Weil das so
wichtig ist, tagen die EU-Agrarministerinnen und Agrarminister
häufiger als die meisten Kollegen der anderen Ressorts, so häufig
wie die Finanz- und Außenminister. Die Landwirtschaftsminister sind
ständige Gäste in Brüssel. Wie alle Politikfelder ändert sich
Agrarpolitik und hat sich bereits massiv geändert:
Ansprüche der
Verbraucherinnen und Verbraucher ändern sich.
Umwelt- und Klimaschutz
werden wichtiger und die Strategien mehr.
Ich nenne Ihnen Schlagworte:
Green Deal, Farm-to-Fork (vom Acker auf den Tisch),
Biodiversitätsstrategie, die Neue Ausrichtung der Gemeinsamen
Europäischen Agrarpolitik – all das – die Vorstellungen von
Umwelt- und Klimaschutz, Tierwohl und Ernährungssicherung muss
verzahnt werden. Denn am Ende sind es unsere Landwirte, die immer
strengere Anforderungen erfüllen müssen. Es gibt, was das angeht,
innerhalb der europäischen Agrarpolitik immer nur einen Weg: Es
wurde für unsere Landwirte immer strenger und komplexer. Vor uns
liegen spannende und arbeitsreiche sechs Monate, die auch unter dem
Eindruck der Corona-Krise stehen. Gern möchte ich Ihnen meine
wichtigsten Ziele vorstellen. Damit Sie eine Vorstellung davon haben,
was leistbar ist, was Pflichtaufgabe und was die Kür ist.
Bewältigung der Corona-Krise
und ihrer Folgen
Die Covid19-Krise und ihre
Folgen war und ist für die gesamte Bundesregierung eine
Herausforderung, insbesondere was sie auch bedeutet für den
Zusammenhalt innerhalb Europas. Wir müssen aus den Erfahrungen die
richtigen Schlüsse ziehen. Damit Europa und die europäische
Ernährungs- und Landwirtschaft für kommende Krisen gewappnet sind.
Es ist wichtig, dass wir uns für die Schwachstellen, die wir gesehen
haben, wappnen. Insbesondere auch wenn es um Lieferketten ging
odereinseitig Grenzen geschlossen worden sind - all das hatte
unmittelbare Auswirkungen auf die Ernährungswirtschaft.
Die Lebensmittelversorgung in
Europa war auch in der Krise immer gesichert. Durch eine enge
Zusammenarbeit zwischen Agar- und Ernährungsministern, aber auch mit
anderen Ressorts. Auch dort, wo die Grenzen geschlossen waren, gab es
auch zum Beispiel Fast-Lanes für Lebensmitteltransporte. Doch
kurzzeitige Lücken in den Regalen haben vielen Menschen den Wert vor
Augen geführt, den eine selbstverständliche Versorgung hat. Die
Wertschätzung für heimische, regionale Lebensmittel und für unsere
Landwirte ist gestiegen. Das freut mich sehr. Wir hören das auch aus
anderen europäischen Ländern.
Es war immer klar: Unsere
Landwirte und Fischer konnten sich auf die Unterstützung der Politik
verlassen. Auch in Deutschland war das klar: Wir haben schnell dafür
gesorgt, dass auch die Landwirtschaft in ein Soforthilfeprogramm
kommt. Die Landwirtschaftliche Rentenbank hat ein Programm aufgelegt,
wir haben die Landwirtschaft natürlich auch im
Konjunkturhilfe-Programm vorgesehen oder sei es bei der Gewinnung von
Saisonarbeitskräften – sicherlich unter höheren Auflagen, das war
nicht einfach für unsere Landwirte, aber das war für unsere
Ernährungssicherung wichtig. Und die Corona-Pandemie hat gezeigt,
dass die Krisenresilienz ausbaufähig ist. Wir müssen schauen, wo
ein System krisenanfällig ist. Funktionierende Lieferketten sind
unabdingbar für die verlässliche Versorgung mit Lebensmitteln. Wir
brauchen die Freizügigkeit von Arbeitskräften. Beides müssen und
wollen wir stärken!
Die EU und der gemeinsame
Binnenmarkt haben Europa großgemacht. Es wird uns nicht
weiterbringen, wenn wir stattdessen uns mehr Konsumnationalismus
vornehmen und dabei nur auf sich selbst zu achten. Das halte ich für
einen Fehler. Auf der einen Seite geht es um einen genussvollen
Lokalpatriotismus, aber auf der anderen Seite sind wir aufeinander
angewiesen und nur gemeinsam stark.
Welche Themen will ich darüber
hinaus voranbringen?
Tierwohl
Wir müssen das Thema Tierwohl
in Europa nach vorne bringen, einen höheren Stellenwert einräumen.
Deshalb trete ich für ein einheitliches europäisches
Tierwohlkennzeichen ein, das Verbrauchern an der Ladentheke die
Entscheidung für mehr Tierwohl ermöglicht. Klar ist aber auch:
Tierwohl – das kostet Geld. Ebenso wie ein Mehr an Umwelt- und
Klimaschutz. Das wird natürlich dann auch teurer. Sie wissen, ich
bin vorangegangen in Deutschland und habe ein Tierwohlkennzeichen
vorgelegt. Jetzt ist das Parlament gefragt, sich damit zu
beschäftigen. Die Niederlande und Dänemark haben auch ein
Tierwohlkennzeichen. Es ist mir gelungen im Vorfeld der
EU-Ratspräsidentschaft durch meine Gespräche, die ich mit jedem
einzelnen EU-Landwirtschaftsminister geführt habe, das
Tierwohlkennzeichen auf die Tagesordnung zu setzen und ich habe die
Zusage von Portugal bekommen, dass sie das Thema weiterbearbeiten.
Denn es ist illusorisch, dass in einem halben Jahr ein fertiges
Tierwohlkennzeichen mit allen Kriterien angenommen wurde. Noch vor 5
Jahren hätten wir ein Tierwohl-kennzeichen überhaupt nicht auf die
Tagesordnung bekommen. Das ist also ein guter Erfolg. Sie wissen,
dass die Eier-Kennzeichnung 10 Jahre gedauert hat.
Biodiversitätsstrategie/Farm-to-Fork
Ganz allgemein ist unsere
Haltung klar als Deutschland: Wir sagen, dass Um-weltauflagen
notwendig sind und es klare einheitliche Standards braucht, die aber
für alle gelten müssen in der EU. Wir brauchen ebenso eine
Folgenabschätzung, zum Beispiel für die Farm-to-Fork-Strategie. Wir
müssen wir auch immer die wirtschaftlichen Folgen im Blick behalten,
wenn wir einerseits Ertragssicherung haben wollen und andererseits
von der Landwirtschaft verlangen, dass sie die Hälfte an
Pflanzenschutzmitteln einspart. Das habe ich der Kommission
mitgeteilt und sie hat selbst auch bestätigt, dass sie das für
wichtig hält. Die Landwirtschaft darf nicht zerrieben werden
zwischen Wirtschaftlichkeit auf der einen und Umweltschutz auf der
anderen Seite. Beides gehört zusammen. Ohne Biodiversität werden
wir keine Wirtschaftlichkeit haben in der Landwirtschaft, aber ohne
Landwirtschaft werden wir auch keine Biodiversität und keine
Ernährungssicherung haben. Neue Züchtungstechnologien und die
Digitalisierung in der Landwirtschaft können helfen, diese
Zielkonflikte aufzulösen. Wer regionale, landwirtschaftliche
Erzeugung erhalten will darf nicht mit immer höheren Auflagen –
ohne diese auch zu honorieren – den Agrar-standort Europa kaputt
machen. Blicken wir auf Mercosur. Wir wissen, dass dort unter anderen
Bedingungen gerade Ackerfläche gewonnen wird: Stichwort Brasilien.
Das kann nicht unser Ansinnen sein in Europa. Dass wir dann Produkte
importieren, die unsere Standards nicht im Ansatz erfüllen. Die
Farm-to-Fork-Strategie greift an manchen Stellen unsere deutschen
Initiativen auf: Das Tierwohlkennzeichen etwa, die erweiterte
Nährwertkenn-zeichnung oder den Kampf gegen
Lebensmittelverschwendung.
GAP
Zur Gemeinsamen Agrarpolitik
Europas: Unter diesen Bedingungen, die ich eben erwähnt habe,
verhandeln wir die neue europäische Agrarpolitik. Die ist ein
Systemwechsel. Weil ich immer wieder höre von anderen: Wir brauchen
eine Agrarwende und kein ‚weiter so‘. Die, die das immer
wiederholen, sind nicht auf dem aktuellen Stand der Diskussion der
Gemeinsamen Agrarpolitik. Es wird eine Neuausrichtung geben: Es wird
mehr Umwelt-, mehr Klimaschutz und mehr Tierwohlstandards geben. Es
wird in der ersten Säule, in der es um Direktzahlungen geht, keine
Zahlungen geben, ohne dass diese an Konditionen geknüpft sind.
Dabei ist eines ganz klar: Das
alles wird es nicht ohne einen angemessenen Agrarhaushalt geben. Denn
wenn wir immer mehr von den Landwirten verlangen, dann müssen wir
für deren Umweltleistungen auch Geld zur Verfügung stellen. Deshalb
ist es so wichtig, dass der Agrarhaushalt sehr schnell verabschiedet
wird. Die Landwirte brauchen eine Entscheidung und wir brauchen als
Entscheidungsgrundlage auch das Budget.
Fischerei
Aber die Fischerei spielt
nicht für jeden eine zentrale Rolle in Deutschland, weil nur einige
Bundesländer damit direkt zu tun haben. Aber wir haben den Agrar-
und Fischereirat, der zusammen tagt. Auch bei der Fischerei steht
einiges an: Fangquoten, Hilfen für die Fischerei, wenn es um
Stilllegungen geht zum Beispiel oder wenn es um den Brexit geht. Wir
brauchen eine kluge Balance zwischen Schutz der Fischbestände und
andererseits Überlebensfähigkeit der Fischerfamilien. Sinkende
Fischbestände führen zu Einbußen, der Brexit zu erheblichen
Unsicherheiten. Warum ist das so mit dem Brexit? Ein hoher Teil der
Fische wird in britischen Gewässern gefangen. Deshalb ist für uns
wichtig, dass die Verhandlung von Freihandelsabkommen nicht von den
Fischereiverhandlungen getrennt werden. Die Corona-Krise hat die
Absatzmärkte deutlich geschwächt. Unsere Fischbestände müssen
sich erholen, um unseren Fischern den Ertrag zu sichern. Wir sind auf
einem guten Weg: Rund 80 Prozent der Bestände werden schon
nachhaltig bewirtschaftet. Das hat sich verbessert. Klar ist:
Landwirtschaft wird grüner werden, Fischerei wird nachhaltiger. Dazu
braucht jeder Planungssicherheit.
Damit möchte ich zum Schluss
kommen:
Wir brauchen verschiedene
Formen des Treffens und Zusammenkommens. Es wird Zeit, dass wir uns
auch wieder physisch sehen – auch als Agrarminister. Verhandlungen
bei Videokonferenzen sind schwierig. Es braucht auch immer wieder
direkte Begegnungen. Deshalb werden wir am 20. Juli eine
Präsenzsitzung in Brüssel anbieten. Ich werde auch den Umwelt- und
Agrarausschuss und Kommissare treffen.
Die EU-Ratspräsidentschaft,
das heißt: volles Programm. Allein 6 Ministertreffen im Agrar- und
Fischerreichbereich stehen auf der Agenda der deutschen
Ratspräsidentschaft. Das sind die regulären Treffen. Das schließt
nicht aus, dass weitere Treffen stattfinden. Dazu kommt eine Vielzahl
weiterer Gespräche auf Fachebene, mit der Kommission, dem
Europäischen Parlament, den Mitgliedstaaten. Highlight wird Ende
August das informelle Agrarministertreffen Europas sein. Das findet
immer im Land der Ratspräsidentschaft statt. Ich lade ein nach
Koblenz Ich werde auf die Tagesordnung unter anderem auch das
Tierwohlkennzeichen setzen.
Ich weiß, die Erwartungen an
Deutschland sind immens hoch – nicht nur wegen des Budgets. Vieles
von dem, was auf der Agenda der vorherigen Ratspräsidentschaft
stand, ist in Verzug geraten aufgrund von Corona. Es gilt, die
Interessen von 27 Mitgliedstaaten als Ratspräsidentschaft zusammen
zu bringen. Das heißt: ein ehrlicher Makler zu sein und nicht die
lauteste Stimme zu sein, nicht den Chef im Ring zu spielen, sondern
Vermittler zu sein zwischen den unterschiedlichen Positionen.
Mein Ziel ist nicht der
kleinste gemeinsame Nenner. Sondern ich will, dass wir unseren Teil
dazu beitragen zum Motto der deutschen EU-Ratspräsidentschaft:
„Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“ Nur Ein starkes Europa
kann eine starke Agrarpolitik und eine starke gesicherte
Ernährungspolitik hervorbringen.
In einer globalisierten Welt,
werden wir nur dann Gehör finden, wenn wir mit einer Stimme sprechen
und nicht in einem großen Chor. Kein Mitgliedstaat allein kann die
globale Agenda bestimmen. Das vereinte Europa ist ein großartiges
Verdienst. Wir haben auch die Pflicht, der kommenden Generation etwas
weiter zu geben und ihr den Boden zu bereiten. Und deshalb sage ich:
Eine der entscheidenden tragenden Säulen der europäischen Politik
ist die Agrarpolitik. Ich freue mich, dass sie in den Fokus rückt
und mit ihnen auch unsere vielen Bäuerinnen und Bauern, die dafür
sorgen, dass wir jeden Tag den Tisch gedeckt bekommen.“